„Man hatte erwartet, dass es schlimm kommen würde. Es kam noch schlimmer. Der Bundeskanzler hat in seiner #Neujahrsansprache seine bisherige Selbstgerechtigkeit noch einmal übertroffen. Die Regierung werde mit der bestehenden Gegenwehr zurechtkommen. Keinerlei Einsicht in das eigene Versagen, stattdessen eine erneute Brandmarkung derjenigen, die ihr Recht auf demokratische Opposition nutzen. In einer Eigenherrlichkeit bedient er sich der Umkehr des Ursache-Wirkungs-Prinzips – und tauscht die Täter-Opfer-Rollen in einem Drama, das 2024 also offenbar in den nächsten Akt geht.
Denn von irgendeiner Erkenntnis des persönlichen und politischen Scheiterns hört man nichts, stattdessen Durchhalteparolen an die Bürger, die die #Ampel nun wohl weiter werden aushalten müssen. Perfide und plump fordert Scholz Mut und Zuversicht ein – legt erneut in einer völlig verklärten Sicht der Dinge eigene Erfolge dar. Den Protest der Wähler durch eine Stärkung des Mitte-Rechts-Lagers beantwortet er unbeeindruckt und stoisch mit der Bereitschaft, sich über alle Signale aus dem Wahlvolk hinwegsetzen zu wollen. Sein Bekenntnis dazu, die ihm übertragene Macht bis zum Schluss ausnutzen, aussitzen und missbrauchen zu wollen, unterstreicht er neuerlich, ohne jegliche Scham.
Er verlangt den Bürgern Veränderung ab, die diese aber nicht in der Form wollen, wie es sich das schlafwandelnde Bündnis aus SPD, Grünen und FDP vorstellt. Stattdessen möchte die Bevölkerung endlich eine Rückkehr zu Vernunft und Pragmatismus. Es will nicht weiter bevormundet, gegängelt und belogen werden. Letztlich ist diese Botschaft eine Kampfansage an den Souverän. Sie lenkt ab von den sozialen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Ruinen, die das Resultat dieser Berliner Abrissbirne sind, welche über der Republik hängt wie das Damoklesschwert – und für das kommende Jahr politische Unruhe prophezeit.
Entweder bleibt man achselzuckend, sprachlos oder wütend nach diesem Auftritt des Regierungschefs zurück. Am Ende ist der Masochismus, den man sich mit dem Konsum dieser Videosequenz antut, sicherlich noch eine Steigerung zum traditionsreichen „DinnerForOne“. Und abseits des Galgenhumors bleibt die ernsthafte Frage: Welchen Webfehler haben uns die Grundväter unserer Verfassung da hinterlassen, dass wir einen Geist nicht mehr loswerden, den manche von uns in der Hoffnung auf Fortschritt durch ein Experiment der lagerübergreifenden Zusammenarbeit von drei Parteien aus der Flasche gelassen haben? Denn wir sind faktisch der Dickköpfigkeit dieser Koalition ausgeliefert – und müssen schmerzhaft spüren, dass die repräsentative Demokratie an dieser Stelle auch deshalb Nachholbedarf hat, weil offenbar niemand damit gerechnet hatte, dass es in der Geschichte eine Konstellation geben würde, in der wir scheinbar nichts gegen uns an die Wand fahrende Sesselkleber unternehmen können.
(C. Dennis Riehle)